„Bauen“ mit Corona

„Bauen“ mit Corona

Die ersten Baustellen sind dicht, die Mitarbeiter in Kurzarbeit oder wenn möglich im Homeoffice. Corona verschont auch das Bauwesen nicht. Gehen Experten trotz der Korrelation von Gesamtwirtschaft und Bauwirtschaft aufgrund des Puffers aus der gerade mal wenige Tage zurückliegenden Boomzeit, ihrer geringeren Import- und Exportabhängigkeit sowie der Tatsache, dass wir es im Bauwesen im Unterschied zu kurzfristigeren Konsumentscheidungen mit langfristigeren Investitionsentscheidungen zu tun haben, von einem geringeren Impact aus, so werden doch auch wir einen Strukturwandel erleben. Einen Strukturwandel, der alle Lebens- und Arbeitsbereiche betreffen wird. Wir müssen lernen, in Systemen zu denken und diese Aufgabe auch als Chance zu begreifen. Eine Aufgabe, die nur gesamtgesellschaftlich bewältigt werden kann.

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Gesundheit steht auf Platz 1 des aktuellen Werteindex des trendbüros. Klimaneutralität ist eine seit langem formulierte Aufgabe und wir wissen auch nicht erst seit gestern, dass die Aufgabe des aktuellen Kondratieff-Zyklus in der Gesundheit für Mensch und Umwelt liegt. Aber offenbar macht uns erst Corona klar, wie eng Wirtschaft, Klima und Gesundheit miteinander verflochten sind. Wird aus der Gesundheitskrise also eine Wirtschaftskrise und vielleicht auch eine Politikkrise? Epidemien und Pandemien bedeuteten in der Menschheitsgeschichte immer einen Bruch bekannter Entwicklungslinien. Verstehen wir, dass wir unsere übergeordnete Aufgabe nur bewältigen können, wenn wir wahrnehmen, dass wir uns von der Wachstumsgesellschaft zur Postwachstumsgesellschaft entwickeln? Verstehen wir, dass wir unsere globale Wirtschaft, die Abhängigkeiten von Ressourcen- und Zulieferketten, von politischen Systemen und bewährten Weltordnungen überdenken müssen? Verstehen wir, dass wir eine Kultur des Schrumpfens entwickeln müssen? Können wir vielleicht Corona sogar als Chance betrachten, jetzt einen Wertewandel zu generieren, um unsere eigene Gesundheit, aber auch die Gesundheit der Umwelt zu retten?

Auch wenn wir aktuell vor großen Herausforderungen stehen, die den Mitarbeiter als Individuum, das Unternehmen als solches und im Markt als auch die Gesellschaft als Ganzes betreffen, wir sehen bereits heute, welche Kräfte mobilisierbar sind. Digitale Konferenzen statt Dienstreisen, Homeoffice statt Präsenz am Arbeitsplatz – es gelingt besser als wir es erwartet haben. Die neuen flexibleren Arbeitskonzepte entlasten bereits jetzt Mobilitätsengpässe und Klimaprobleme unserer Städte. Was ist also Notmaßnahme oder bereits ein Zukunftskonzept? Was sind die Herausforderungen aktuell und was bedeutet das für die Zukunft? Mit welchen Themen müssen sich aktuell die Teilnehmer unseres Ökosystems Bau auseinandersetzen und was sind davon vielleicht auch Zukunftsmodelle? Denn eines ist klar, was wir auch gerade schaffen, es ist ein Invest in die Zukunft, denn auch wenn wir diese Krise gesundheitlich, wirtschaftlich und politisch gut überstehen, ist unsere Aufgabe nicht beendet. Diese Aufgabe wird zum Alltag werden. Es geht um ein „Leben mit Corona“ (Die Zeit). Was bedeutet dies gerade konkret für die unterschiedlichen sozialen Einheiten und Organisationstrukturen unseres Ökosystems – vom Individuum, über das Unternehmen, den Markt bis hin zur Gesellschaft? 

Das Individuum als Mitarbeiter

Nach ersten beantworteten Fragen zur Sicherheit des Arbeitsplatzes und zur Wertschöpfung in Zeiten des Remote-Arbeitens wie die Gestaltung des Home-Office, Fragen der Infrastruktur und Sicherheit, geht es schnell um Fragen nach einer Balance zwischen Leben und Arbeiten, einem Zeit- und Pausenmanagement, einem fokussierten Kommunikationsmanagement, nach einer Nutzung der verfügbaren Zeit in Sachen Wissensschöpfung durch Wissensmanagement der eigenen Datenflut, aber auch Wissensschöpfung durch Weiterbildung. Es geht um Fragen zur Gesundheit von Körper und Geist, um Sport und Ernährung und um reale Wertschöpfung als Ausgleich der virtuellen Tätigkeit wie Ausmisten, DIY-Möbel, der grüne Balkon und das Entdecken alter Freizeitbeschäftigungen wie Bücher und Spaziergänge. Es geht um die Balance zwischen Analog und Digital. Es geht um den Ausgleich sozialer Distanz und dem Wiederentdecken von Nachbarschaften. Und es geht darum, zu erkennen, was an diesen Themen „Notsituation“ ist oder was die Chance hat, mittelfristig zu einem echten Mehrwert des Alltags zu werden.

Das Unternehmen

Nach ersten beantworteten Fragen wie Wertschöpfung im Sinne von Wissensschöpfung in dieser Zeit gelingen kann wie die Umsetzung des „Remote“-Arbeitens, kurzfristige Arbeits- und Mobilitätskonzepte, notwendige Infrastrukturen und Sicherheiten analog und digital umsetzbar sind, geht es um Fragestellungen wie analoge Prozesse und Systeme digital weitergedacht werden können (Kommunikation, Vertrieb, Blockchain, Chatbots etc.). Es geht aber neben den technologischen Herausforderungen ganz besonders jetzt darum, den Mitarbeiter und seine Herausforderungen zu verstehen, ernst zu nehmen und in den Mittelpunkt zu stellen, wie zuvor den Kunden. Hier geht es um eine Transparenz in der Kommunikation als Basis für Bindung und Identität. Es geht um Dialog und Community statt dem Senden von Botschaften. Es geht um Feedback im Sinne von Resonanz und Wertschätzung. Es geht neben dem Aufbau interdisziplinärer, virtueller Teams aber bereits heute auch entschieden darum, eine Kultur des Schrumpfens zu entwickeln. Es geht darum, die Zeit fehlender Wertschöpfung für Wissensschöpfung zu nutzen in Form des Aufbaus eines internen Wissensmanagements und auf dessen Basis entsprechende Weiterbildungsformate anzubieten – Customized oder explizit als Community-Formate. Es geht darum, die Unternehmensidentität und Unternehmenskultur zu schärfen, als Basis für Identität, interne und externe Kommunikation und Zukunftsentscheidungen. Und es geht darum, im Sinne eines Innovationsmanagements Zukunftsbilder als Möglichkeitsräume zu entwickeln. Und es geht darum, bereits heute zu erkennen, was an diesen Themen „Notsituation“ ist oder was die Chance bietet, mittelfristig zu einem echten Mehrwert des Alltags zu werden. Wie können dauerhaftes „Remote“, flexible Arbeits- und Mobilitätskonzepte nicht nur dem Unternehmen, sondern langfristig auch Städten und Klima helfen? Wie schaffen wir im Sinne eines Ausgleichs zwischen Analog und Digital künftig eine Balance und auf Basis der Sehnsucht der Mitarbeiter nach Resonanz wieder echte Orte für echte Begegnungen? Wie schaffen wir vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels Orte für die Integration neuer Generationen, Kulturen und Geschlechter mit neuen Serviceanforderungen? Wie verändert sich die Wertschöpfung analoger Produktion? Wo liegen Abhängigkeiten bezüglich Ressourcen, Zulieferern und Politik? Sollten Produktionen wieder nach Deutschland rückverlegt werden? Was bedeutet das für Logistik und Lagerwirtschaft? Entstehen hieraus neue Chancen für strukturschwache Regionen oder gar die Integration verträglicher Industrien in den Stadtkörper in Form vertikaler Produktionen und damit auch eine Entlastung der Infrastruktur? Helfen ortsnahe Produktionen und regionale Netzwerke einer Machtverschiebung in Richtung Konzentration als „Shared-Identities“ entgegen zu wirken und bedeuten sie nicht auch eine Chance für das Handwerk? Es wird um eine Balance gehen zwischen Autonomie und Abhängigkeit, zwischen Öffnung und Abschließung. Es wird aber auch neben dem Fokus auf die bekannten Produkte, um neue Geschäftsmodelle und Services gehen. Um neue granulierte Zielgruppen und Marktverschiebungen. Es wird um Klimaneutralität und Circular-Economy gehen. Um ein vielleicht dauerhaftes Remote, weniger Dienstreisen, die Konversion von Bürostandorten und Urban-Mining, um Produktentwicklungen von hinten zu denken, in Ökosystemen und Plattformen zu denken. Eine Synthese von Daten und Material und ein Verknüpfen von Menschen, Gütern und Dienstleistungen. Die Macht gehört den Plattformen. Dabei entwickeln wir uns endlich von einem bis heute nicht überall angekommenen Human-Centered-Design zu einem Public-Centered-Design. Einem Gesellschaftsdesign mit und für die Gesellschaft.

Netzwerke und neue Kollaborationen

Diese Herausforderungen sind nicht innerhalb einzelner Organisationen zu bewältigen. Es geht darum, in neuen Netzwerken und Kollaborationen zu denken, zu handeln und diese sukzessive aufzubauen. Betreffen diese Produktions- und Lieferketten, Lagerwirtschaft und Logistik, regionale Netzwerke oder völlig neue Formen der Zusammenarbeit. Produktentwicklungen über offene Plattformen im Sinne der Nutzung kollektiver Intelligenz. Regionale Netzwerke als Shared-Identity versus Machtkonzentrationen in globalen Unternehmen. Bis hin zu neuen Netzwerken im Zuge eines Bedeutungszuwachs der Wissenschaft und damit höherer Investitionen in kooperative Forschungs- und Entwicklungsprojekte – vom Wachstum berührungsloser Systeme bis hin zu autonomen Baustellen.

Die Gesellschaft

Am Ende bleibt es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu der wir alle unseren Beitrag leisten können und müssen. Im Kleinen wie im Großen. Welt, Nationen, Länder und Kommunen können diese Lösungen nicht mehr unabhängig voneinander leisten. Die Gesundheit für Mensch und Umwelt können wir nur übergreifend lösen. Es geht heute darum, die Resilienz unserer Gesellschaft, unserer Politik und unserer Wirtschaft darauf vorzubereiten, den Strukturwandel mitzugestalten. Auf allen Ebenen. Nur so kann es gelingen. „Wir-Kultur“ als Posthyperindividualisierung ist die einzige und echte Chance für unsere gemeinsame Zukunft!

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