Gebäude sind Prognosen

Gebäude sind Prognosen

Gebäude und Städte, die wir heute planen, sind Prognosen wie wir in Zukunft leben werden. Damit Prognosen wie unsere viel beschimpften Wettervorhersagen nicht notwendigerweise immer falsch sein müssen, müssen wir uns heute mit den gesellschaftlichen Veränderungen in Zukunft auseinandersetzen. 

Doch unsere bekannte Welt ist in rasantem Umbruch. Ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle Veränderungen bestimmen unseren Alltag. Klimatische Veränderungen und Ressourcenknappheit, wachsende Weltbevölkerung und älter werdende Gesellschaften, ansteigende Migrationsströme und zunehmende Verstädterung, neue Mobilitäts- und Arbeitswelten bis hin zur immer schneller fortschreitenden digitalen Transformation stellen komplexe Fragen im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichem Wandel und technischen Entwicklungen, die innerhalb einzelner Fachdisziplinen nicht mehr zu beantworten sind. Die digitale Transformation lässt ganze Berufsfelder verschwinden, aber auch neue entstehen. Der tiefgreifende Einfluss der Digitalisierung ist aber nicht allein die Art und Weise, wie sie unsere Arbeitswelten verändert. Nicht das Verschwinden von Berufsbildern und das Entstehen neuer. Es ist auch nicht die Forderung nach neuen Qualifikationen und Führungskompetenzen oder die enorme Effizienzsteigerung, die mit der Umstellung auf digitale Prozesse verbunden ist. Der wahre Impact der Digitalisierung ist der Impact auf die Gesellschaft. Der Impact auf neue Lebensweisen, die Demokratisierung von Wissen und Kommunikation, auf soziale Teilhabe und die Veränderung der Medien. Die digitale Transformation führt zu einer kulturellen Transformation. Diese fundamentale Veränderung wird dann auch nicht ohne Einfluss auf unsere reale gebaute Umwelt in Gegenwart und Zukunft bleiben.

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Innovationen finden stets im Spannungsfeld zwischen technologischer Entwicklung und gesellschaftlicher Veränderung statt. Die digitale Transformation fordert von uns allen Innovationen à la „Silicon Valley“. Disruptive Geschäftsmodelle wie jene von Google, Amazon, AirBnB oder Uber. Start-Ups sollen traditionellen Unternehmen helfen, die digitale Transformation zu schaffen und liefern einzelne Impulse. Doch müssen Innovationen stets disruptiv sein? Ist eine kulturelle Transformation nicht eher ein evolutionärer Prozess? Sollten wir im Sinne einer kulturellen Anpassung nicht hier gerade aus den Fehlern der Vergangenheit der Globalisierung lernen? Wird alles neu oder braucht Zukunft nicht auch Herkunft? Wie schaffen wir die digitale Transformation im Sinne eines evolutionären Prozesses, der unsere kulturelle Codierung respektiert? Können Innovationen nicht auch evolutionär entstehen? 

Technologische Megatrends wie insbesondere die alles bestimmende Digitalisierung führen in ihrer gesellschaftlichen Reflektion immer aber auch zu Gegentrends. Globalisierung führt zu neuer Regionalisierung. Virtualität zu einem neuen Bedürfnis nach Haptik. Künstliche Intelligenz zum Erkennen menschlicher Fähigkeiten wie Kreativität und Empathie. Individualisierung zu neuen parallelen Gemeinschaften. Dies bestätigt auch der aktuelle Werteindex des Trendbüros um Professor Peter Wippermann, der als wichtigste aktuelle Gesellschaftswerte Natur, Gesundheit und Familie anführt. Auch die langfristigeren Kondratieff-Zyklen sehen unsere Aufgabe des aktuellen Zyklus in der Gesundheit von Mensch und Umwelt.

Wie kann Architektur diesen Herausforderungen begegnen? Wie kann sie diese in Raum übersetzen? Was passiert künftig im realen, was nur noch im digitalen Raum? Welche Rolle kommt dabei den Gestaltern und Architekten zu? Werden sie zur zentralen Mittlerrolle zwischen Mensch und Raum, oder verlieren sie ihre Raumlösungskompetenz? Stellen sie sich den Anforderungen neuer Bedarfe, neuer Arbeitsweisen, neuer Formen, Materialien und Nutzungskonzepte? Stellen sie sich im virtuellen Raum den Produktkriterien, die an ihre Architekturen gestellt werden? Welche Rolle spielen Industrie und Handwerk? Stellen sie sich neuen Herausforderungen wie Ästhetik, neuen technischen Anforderungen und Nachhaltigkeitsthemen von Energieeffizienz bis zu Recyclingfähigkeit? Welche neuen Aufgaben entstehen für Lehre, Forschung und Politik? 

Gestaltung präsentierte sich bisher in Einzeldisziplinen wie Architektur und Innenarchitektur, Produktdesign oder auch Kommunikationsdesign. Doch wir brauchen einen erweiterten Gestaltungsbegriff. Es wird nicht mehr nur darum gehen, isolierte Endprodukte oder Einzelobjekte zu gestalten, sondern Systeme. Zukünftig geht es um die Gestaltung von Prozessen, Strukturen, Organisationsformen bis hin zu Kulturen. Gestalter werden zu Erfindern, Vermittlern und Verbindern. Gestaltung im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes heißt einerseits Gestaltung in greifbarer Form und andererseits Gestaltung von Arbeitsprozessen und interdisziplinären Beziehungen bis hin zur Vermittlung. Wir brauchen Gestalter im ganzheitlichen Sinne vonMachern! Es geht um Design für die Gesellschaft und mit der Gesellschaft. Es geht um soziale Innovationen, um Gesellschaftsdesign. 

Die Arbeitsweise der Zukunft ist geprägt durch Interdisziplinarität und ein Arbeiten im Netzwerk. Dies ist uns Architekten seit jeher bekannt. Aber werden wir nach wie vor Dirigent dieses Netzwerks sein oder eher die zweite Geige spielen? Welche Darstellungsmethoden brauchen wir in diesem Netzwerk auch im Sinne differenzierter Kommunikationsmittel? BIM darf zwar nicht bereits als Lösung der digitalen Transformation betrachtet werden, dient aber bereits heute als Basis neuer Kooperationen und Formen der Zusammenarbeit, die mit der Einführung technischer Zeichnungen im 18. Jahrhundert getrennt worden waren. Auch wenn digitale Devices den Zeichenstift teilweise ersetzt haben, halten wir nach wie vor am klassischen Entwurfsprozess und einer Umsetzung der bekannten linearen Leistungsphasen fest. „Das Objekt um des Objekts willen“ bestimmt Arbeitsalltag und Lehre. Doch wie lange können wir mit einer seriellen Arbeitsweise der Komplexität der Anforderungen noch genügen? Und kommt dem Kontext eines Objekts nicht dieselbe Bedeutung zu wie dem Objekt selbst? 

Gerade im urbanen Kontext sind innovative Strategien gefragt, die die Entwicklungen und Zukunftsanforderungen aufgreifen, reflektieren und nur so attraktiven Raum für ein identitätsstiftendes Zusammenleben in Zukunft schaffen können. Im 100 Jahre Bauhaus-Jubiläumsjahr und einer entsprechend langen Prägung der Sichtweise der Moderne „Das Objekt um des Objekts willen“ finden wir allmählich wieder einen Weg zur Kontextarchitektur. Insbesondere junge Büros zeigen ihre Begeisterung und neue Qualitäten für das Bauen im Bestand, unterstützen dadurch gleichzeitig unsere Handwerkskultur und initiieren neue Denkweisen wie die des Urban-Minings. 

Räume und Städte waren schon immer auch soziale Tatsachen, die sich räumlich formten und somit Ausdruck der Gesellschaft ihrer Zeit. Entwerfen im Sinne einer Kulturtechnik und nicht im Sinne eines rein künstlerischen Schaffensprozesses findet daher stets im Spannungsfeld zwischen technischen Entwicklungen und gesellschaftlichem Wandel statt und ist so Spiegel ihrer Zeit und abhängig von den jeweiligen kulturellen Aprioris wie Techniken, Materialitäten, Codes und insbesondere der Anforderungen und Bedarfe von Mensch und Gesellschaft. 

Eine aktuelle Studie des Institute International Trendscouting (IIT) der HAWK Hildesheim mit dem Titel „Rendering Codes/DNA für den Putz der Zukunft“ zeigt beispielsweise für den Putz der Zukunft die folgenden Entwicklungslinien auf: „Vernetzte Putzfassade“, „Individualisierung durch Robotik“, „Modulares und reversibles Bauen und Gestalten“, „Multifunktionsmaterial“ bis hin zu „Grünen Fassaden/Natur“ und „Tradition, Identität und Authentizität“. Entwicklungslinien, die über den Putz hinaus auch auf andere Materialien übertragen werden können und das Spannungsfeld von Trend und Gegentrend, von Tradition und Innovation auf die Fassaden reflektieren. Zukunft braucht also auch Herkunft!

Ziegelfassaden prägen unseren Kulturraum seit mehreren Jahrtausenden bis heute identitätsstiftend. Erste Funde handgeformter Lehmziegel in Ägypten gehen bis 14.000 vor Christus zurück. Die Materialien und Produktionsverfahren haben sich im Laufe der Jahrtausende mit dem technologischen Fortschritt sukzessive weiterentwickelt und sich neuen Anforderungen angepasst. Ihre Grundwerte sind geblieben. Insbesondere im urbanen Kontext konnte die Bauweise aufgrund ihrer Sicherheitsaspekte über Jahrhunderte eine bedeutende Tradition entwickeln. Gestalterisch überzeugen Ikonen aus allen Phasen der Baugeschichte – aus der Zeit der Moderne und des Expressionismus durch Vertreter wie Peter Behrens, Hendrik Berlage, Heinz Bienefeld, Walter Gropius, Erich Mendelsohn, Ludwig Mies van der Rohe bis hin zu Le Corbusier. In der Gegenwart durch David Chipperfield, Herzog de Meuron oder Arno Lederer, um nur einige zu nennen.

Die Begeisterung für Ziegel ist heute aktueller denn je, reflektieren sie doch in herausragender Weise die heute vorherrschenden Grundwerte der Gesellschaft und greifen gleichzeitig die Zukunftsanforderungen auf, um so attraktiven Raum für ein identitätsstiftendes Zusammenleben in Zukunft zu schaffen. Kulturelle Prägung und regionale Herkunft generieren Identität, Sicherheit und Stabilität, Vertrauen und Transparenz. Regionalität wird zum immer bedeutenderen Aspekt ganzheitlich verstandener Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeit von reinem Effizienzbestreben zur Forderung nach Circular-Economy. Recycling und Herkunft werden nach Serviceanforderungen zu einem wesentlichen Produktkriterium. Langlebigkeit schafft Wertbeständigkeit und zugleich Ressourcenschonung. Natürlichkeit und Authentizität sind heute zugleich Entscheidungskriterien für Bauherrn und Gestalter. Eine Gestaltungsvielfalt, die Individualisierung ermöglicht und zugleich in ihrer Einfachheit in höchster handwerklicher Umsetzungsqualität Tradition und Regionalität stärkt, begeistern heute mehr denn je. 

Seine natürlichen Grundwerte und eine kontinuierliche technologische Weiterentwicklung machen den Ziegel heute zugleich zu einem traditionellen und innovativen, technologisch ausgereiften Produkt. Wie intelligent und vernetzt auch immer unsere Produkte und Systeme durch digitale Technologien auch werden können. Sei es durch digitalisierte individualisierte Gestaltungsmöglichkeiten von Formaten und Oberflächen oder auch parametrische Entwurfs- und Verlegearten durch Robotik, die neue gestalterische Sprachen bis hin zu einer neuen Ornamentik ermöglichen. Materialmixe oder gegenläufige Urban-Mining-Ansätze mit gebrauchten Ziegeln, Ziegeln 2. Wahl oder Recyclingziegeln. Ausgangspunkt, Mittelpunkt und Ziel all unserer Bestrebungen sollte der Mensch sein. Als Zentrum und Maß neuer Lebensräume im Innen und Außen. Wir brauchen Empathie für seine Grundbedürfnisse wie Wohlbefinden, Wohnkomfort und Gesundheit, für seine Sehnsüchte nach Natürlichkeit, Haptik, Authentizität und Herkunft und wir brauchen ein Gespür für neue Zukunftsanforderungen wie neue individualisierte Lebens- und Ausdrucksformen, neue Gemeinschaftsformen und Teilhabe. Nur so können gemeinsam Raumerlebnisse für alle Sinne und Lebensqualität im Innen und Aussen entstehen. 

Zentrale Aufgabe der Architektur ist seit jeher die Beziehung zwischen Mensch und Raum, wenn man auch den Eindruck erhält, diese wäre im Laufe der Architekturgeschichte ab und an in Vergessenheit geraten. Heute ist Sir Winston Chruchills Aussage „Erst formen wir unsere Räume, dann formen sie uns.“ durch Forschungsergebnisse aus Hirnforschung und Neuropsychologie belegbar. Ziegel hilft uns im doppelten Sinne dies zu begreifen. Der menschliche Maßstab seines Kleinformats, seine Natürlichkeit und Ressourceneffizienz, seine Homogenität und Authentizität, seine Materialwahrheit, Einfachheit und Ehrlichkeit lässt sich mit allen Sinnen erfahren und begreifen, schafft Vertrauen und Vertrautheit und steht für unser kulturelles Gedächtnis heute und in Zukunft.

Höchste Materialqualität geht einher mit Funktionalität und einer Vielfalt an Gestaltungsoptionen durch unterschiedliche Charakteristika und Erscheinungsformen. Durch Farben, Strukturen, Formate und Verbände eröffnen sie uns eine breite Gestaltungsfreiheit für Neubau und Bestand, ermöglichen Individualisierung und harmonische Integration in den Kontext. Doch das Gestalten und Bauen mit Ziegeln will auch gelernt sein, wie bereits Ludwig Mies van der Rohe bemerkte: „Der Backstein ist ein anderer Lehrmeister. Wie geistvoll ist schon das kleine, handliche, für jeden Zweck brauchbare Format. Welche Logik zeigt sein Verbandsgefüge. Welche Lebendigkeit sein Fugenspiel. Welchen Reichtum besitzt noch die einfachste Wandfläche. Aber welche Zucht verlangt diese Material.“ 

Bauprodukte sind bereits heute nicht mehr nur Summe von Materialien und Gewerken, sondern Ergebnis holistischer Konzepte. Produkte und Systeme, Services und digitale Tools aus 200 Jahren Erfahrung von Wienerberger helfen uns gemeinsam eine vielfältige und identitätsstiftende Umwelt für Mensch und Gesellschaft zu gestalten. Resiliente und gesunde Gebäude und Städte der Zukunft in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung für Mensch und Umwelt. Lebensräume für Menschen, die wir fühlen können.

Veröffentlicht in Wienerberger Lookbook, Dezember 2019

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