Zukunft braucht Herkunft!

Zukunft braucht Herkunft!

Warum Innovationen auch evolutionär entstehen können.

Gebäude und Städte, die wir heute planen, sind Prognosen wie wir in Zukunft leben werden. Damit Prognosen möglichst fundiert und realistisch sein können, müssen wir uns heute mit den gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen in Zukunft auseinandersetzen. 

Doch unsere bekannte Welt ist im Umbruch. Ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle Veränderungen bestimmen unseren Alltag. Klimawandel, Ressourcen-knappheit, neue Mobilitätsformen bis hin zur digitalen Transformation stellen komplexe Fragen im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichem Wandel und technischen Entwicklungen, die innerhalb einzelner Fachdisziplinen nicht mehr zu beantworten sind. Die digitale Transformation lässt ganze Berufsfelder verschwin-den, aber auch neue entstehen. Der tiefgreifende Einfluss der Digitalisierung ist aber nicht allein die Art und Weise, wie sie unsere Arbeitswelten verändert. Nicht das Verschwinden von Berufsbildern und das Entstehen neuer. Es ist auch nicht die Forderung nach neuen Qualifikationen und Führungskompetenzen oder die enorme Effizienzsteigerung, die mit der Umstellung auf digitale Prozesse verbunden ist. Der wahre Impact der Digitalisierung ist der Einfluss auf die Gesellschaft. Der Einfluss auf die Demokratisierung von Wissen und Kommunikation, auf soziale Teilhabe und die Veränderung der Medien. Die digitale Transformation führt zu einer kulturellen Transformation….

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… Wir müssen uns stets des größeren Kontexts bewusst sein, müssen lernen in Systemen zu denken. Wer diesen Anforderungen mit Offenheit und Vernetzung begegnet, kann die Chancen des Umbruchs nutzen, hält er doch gerade für Gestalter ungeahnte Potentiale bereit. Es wird künftig darum gehen, den digitalen Wandel zu managen und so Innovationen für die Zukunft zu gestalten.

Innovationen finden stets im Spannungsfeld zwischen technologischer Entwicklung und gesellschaftlicher Veränderung statt. Die digitale Transformation fordert von uns allen Innovationen à la „Silicon Valley“. Disruptive Geschäftsmodelle wie jene von Google, Amazon, AirBnB oder Uber. Start-Ups sollen traditionellen Unternehmen helfen, die digitale Transformation zu schaffen und liefern einzelne Impulse. Doch müssen Innovationen stets disruptiv sein? Ist eine kulturelle Transformation nicht eher ein evolutionärer Prozess? Kulturelle Haltungen beschleunigen oder verlangsamen Innovationen. Wir sehen dies am Verhältnis zum Roboter, der in Japan als Freund, in China als Kollege, in USA als Diener und bei uns noch immer als Feindbild gesehen wird. Sollten wir im Sinne einer kulturellen Anpassung nicht hier gerade aus den Fehlern der Vergangenheit der Globalisierung lernen? Wird alles neu oder braucht Zukunft nicht auch Herkunft? Wie schaffen wir die digitale Transformation im Sinne eines evolutionären Prozesses, der unsere kulturelle Codierung respektiert? Können Innovationen nicht auch evolutionär entstehen? Fragen, die einer tiefgehenden Betrachtung bedürfen. Fakt ist: die Grenzen zwischen den Disziplinen verschwimmen. Innovationen entstehen zukünftig nicht mehr in Nischen, sondern an Rändern, dort wo sich die Grenzen auflösen. 

Gestaltung präsentierte sich bisher in Einzeldisziplinen wie Architektur und Innenarchitektur, Produktdesign oder auch Kommunikationsdesign. Doch wir brauchen einen erweiterten Gestaltungsbegriff. Es wird nicht mehr nur darum gehen, isolierte Endprodukte zu gestalten, sondern Systeme. Zukünftig geht es um die Gestaltung von Prozessen, Strukturen, Organisationsformen bis hin zu Kulturen. Gestalter werden zu Erfindern, Vermittlern und Verbindern. Gestaltung im Sinne eines ganzheitlichen Ansatz heißt einerseits Gestaltung in greifbarer Form und andererseits Gestaltung von Arbeitsprozessen und interdisziplinären Beziehungen bis hin zur Vermittlung. Wir brauchen Gestalter im ganzheitlichen Sinne von Machern! Es geht um Design für die Gesellschaft und mit der Gesellschaft. Es geht um soziale Innovationen, um Gesellschaftsdesign. 

Zentrale Aufgabe der Architektur ist stets die Beziehung zwischen Mensch und Raum, wenn man auch den Eindruck erhält, diese wäre im Laufe der Architekturgeschichte ab und an in Vergessenheit geraten. Heute ist Sir Winston Chruchills Aussage „Erst formen wir unsere Räume, dann formen sie uns.“ durch Forschungsergebnisse aus Hirnforschung und Neuropsychologie belegbar. Gleichzeitig waren Räume und Städte schon immer auch soziale Tatsachen, die sich räumlich formten und somit Ausdruck und Spiegel der Gesellschaft ihrer Zeit. Entwerfen im Sinne einer Kulturtechnik und nicht im Sinne eines rein künstlerischen Schaffensprozesses findet daher stets im Spannungsfeld zwischen technischen Entwicklungen und gesellschaftlichem Wandel statt und ist so Spiegel ihrer Zeit und abhängig von den jeweiligen kulturellen Aprioris wie Techniken, Materialitäten, Codes und Visualisierungsstrategien. Architektur und Bauwesen werden sich somit dem beschriebenen Umbruch nicht wiedersetzen können. Zukünftig wird ein ganzheitlicher Gestaltungsbegriff gefordert – Gestaltung als Universal- oder Metadisziplin. Mit Hilfe der richtigen Methoden können Erkenntnisse über alle Facetten des menschlichen Lebens gewonnen werden. 

Die Baubranche gilt als einer der wesentlichen Wirtschaftszweige der Bundesrepublik Deutschland, allerdings mit dem geringsten Innovationsgrad. So hinkt die Bauwirtschaft laut einer aktuellen Studie der MacArthur-Foundation auch in Sachen Produktivität weit hinter anderen Industrien zurück, die die Digitalisierung bereits weiter fortgeschrieben haben als auch die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch als strategisches Ziel verfolgen. Bis heute fehlt der Transfer von Trends und Zukunftsanforderungen in die Bauwirtschaft fast gänzlich. Auch die Digital-Hub Strategie der Bundesregierung sieht bis dato keines für den Bereich Bauwesen vor. Warum ist das so? Liegt es an der kleinteiligeren Wirtschaftsstruktur oder einer Vergangenheitsorientierung? Liegt es an den längeren Entwicklungszyklen oder einer anderen Maßstäblichkeit? Wie auch immer die Antwort lautet, eine Innovationsstrategie muss diese Aspekte berücksichtigen. Sie kann nur als evolutionärer Transformationsprozess im Netzwerk aller Beteiligten gelingen – Branchen und Gewerke übergreifend. Nachhaltiges Innovationsmanagement unserer Branche muss zugleich unsere Wirtschaftsstruktur und unsere Kultur abbilden. Innovationen können auch evolutionär entstehen und Zukunft braucht Herkunft!

Veröffentlicht 10/2019 Raumprobe Magazin https://www.raumprobe.com/de/magazin/zukunft-braucht-herkunft

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