Räume sind Prognosen!

Räume sind Prognosen!

Und warum sich gerade deshalb Architekten und die Bauwirtschaft mit Gestaltungsmethoden und Methoden der Zukunftsforschung beschäftigen sollten.

Gebäude und Städte, die wir heute planen, sind Prognosen wie wir in Zukunft leben werden. Damit Prognosen nicht notwendigerweise immer falsch sein müssen, unsere Gebäude und Städte der Zukunft nachhaltig, resilient und identitätsstiftend sein können, müssen wir uns heute mit den Anforderungen in Zukunft beschäftigen.

Doch unsere bekannte Welt ist im Umbruch. Ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle Veränderungen bestimmen unseren Alltag. Klimawandel, Ressourcenknappheit, neue Mobilitätsformen bis hin zur digitalen Transformation stellen komplexe Fragen im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichem Wandel und technischen Entwicklungen, die innerhalb einzelner Fachdisziplinen nicht mehr zu beantworten sind. Die digitale Transformation lässt ganze Berufsfelder verschwinden, aber auch neue entstehen. Wer diesen Anforderungen mit Offenheit und Vernetzung begegnet, kann die Chancen des Umbruchs nutzen, hält er doch gerade für den Bereich der Gestaltung ungeahnte Potentiale bereit. Die steigende ökonomisch-strategische Bedeutung der Kreativwirtschaft insbesondere in komplexen, dynamischen und wissensintensiven Branchen wird zunehmend zum Erfolgsfaktor. Es wird künftig darum gehen, den digitalen Wandel zu managen und so Innovationen für die Zukunft zu gestalten.

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Gestaltung präsentierte sich bisher in Einzeldisziplinen wie Produktdesign, Verpackungsdesign, Kommunikationsdesign oder auch Corporate Design. Doch wir brauchen einen erweiterten Gestaltungsbegriff. Es wird nicht mehr nur darum gehen Endprodukte zu gestalten, sondern Systeme. Zukünftig geht es um die Gestaltung von Prozessen, Strukturen, Organisationsformen bis hin zu Kulturen. Gestalter werden zu Erfindern, Vermittlern und Verbindern. Design im Sinne eines ganzheitlichen Ansatz heißt einerseits Design in greifbarer Form und andererseits Design als Gestalter von Arbeitsprozessen und interdisziplinären Beziehungen bis hin zur Vermarktung. Wir brauchen Gestalter im ganzheitlichen Sinne von Machern! Es geht um Design für die Gesellschaft und durch die Gesellschaft. Ganzheitliche Gestalter gestalten Design und Designprozess zugleich. Sie entwerfen nicht nur das Produkt, sondern bahnen den Weg, auf dem es entsteht. Sie gestalten Produktkonzepte ebenso wie Fertigungsprozesse, schaffen interaktive Steuerungen, bestimmen Benutzeroberflächen und entscheiden über die Kommunikation – immer mit dem doppelten Blick auf eine Organisation und deren Kunden.

Wir brauchen neue Methoden, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Die „6B-Skizze“ im Sinne eines Autorendesigns reicht nicht mehr zur Beantwortung der Zukunftsfragen. Es geht um soziale Innovationen, um Gesellschaftsdesign. Perspektivwechsel sind erforderlich. Grenzen verschwimmen zwischen Gestaltungsdisziplinen aber auch zwischen Gestaltung und klassischen Wirtschaftsbereichen, die zunehmend die Qualität der Kreativen erkennen. Innovationen finden künftig nicht mehr in Nischen sondern an den Rändern statt, dort wo sich die Grenzen auflösen. Dies entspricht einem zukünftig geforderten ganzheitlichen Gestaltungsbegriff – Gestaltung als Universal- oder Metadisziplin. Mit Hilfe der richtigen Methoden können Erkenntnisse über alle Facetten des menschlichen Lebens gewonnen werden.

Design-Thinking stellt heute die wohl populärste Methode im Sinne eines Innovationsmanagements dar. Als Designmethode dient sie als Ansatz zum Erkennen und Lösen von Problemen und der Entwicklung neuer Ideen. Design-Thinking integriert Menschen unterschiedlicher Disziplinen in kreativem Umfeld, um gemeinsam an einer Fragestellung zu arbeiten. Sie nutzt mehr als andere Methoden visuelle und haptische Eindrücke, spürt Bedürfnisse auf, die dem Nutzer häufig nicht bekannt sind oder die er nicht artikulieren konnte und eignet sich optimal in der frühen Phase des Designprozesses. Auch wenn bis heute keine einheitliche Definition existiert, so wird Design-Thinking als Innovationsprozess und Methode aktuell vielseitig im strategischen Management als disziplinübergreifender humanistischer Ansatz zum Lösen komplexer Fragestellungen integriert.

Ist es vor diesem Hintergrund nicht erstaunlich, dass trotz der Nähe der Gestaltungsdisziplinen Design und Architektur der Transfer in Managementebenen bereits geglückt ist, in Architektur und Bauwirtschaft aber noch wenig Methodentransfer stattfindet?

Die Arbeitsweise der Zukunft ist geprägt durch Interdisziplinarität und ein Arbeiten im Netzwerk. Dies ist uns Architekten seit jeher bekannt. Aber werden wir nach wie vor der Dirigent dieses Netzwerks sein oder eher die zweite Geige spielen?

Und welche Rolle um beim Bild zu bleiben welches Instrument spielen Bauwirtschaft, Politik und Handwerk?

Auch wenn digitale Devices den Zeichenstift teilweise ersetzt haben halten wir nach wie vor am klassischen Entwurfsprozess und einer Umsetzung der bekannten Leistungsphasen fest. „Das Objekt um des Objekts willen“ bestimmt Arbeitsalltag und Lehre. Doch wie lange können wir mit einer seriellen Arbeitsweise der Komplexität der Anforderungen noch genügen?

Während der Gestalter stets im 1:1 und damit im menschlichen Massstab plant, entwickeln wir uns Schritt für Schritt vom grossen in kleinere Massstäbe, in denen sehr lange der Mensch nicht einmal sichtbar ist.

Die Digitalisierung schafft auch hier neue Optionen und gleichzeitig die Demokratisierung des Gestaltungsverständnisses. Der singulare Mensch als Bauherr fordert künftig von Anfang an mittels AR/VR in den Prozess integriert zu sein, stellt dann aber auch Produktkriterien an unsere Architekturen. Können wir damit wirklich umgehen oder sollten wir nicht jetzt die Chance nutzen, von den Gestaltern und ihren Denkmodellen und Methoden zu lernen? Digitale Modelle und ein Methodentransfer aus der Gestaltung bieten die Chance, den Menschen und damit den Grund wofür wir planen und bauen wieder in den Mittelpunkt der Architektur zu stellen.

Der zentrale Kreativprozess und die menschliche Empathie sind die Schlüssel für die Lösung der komplexen Zukunftsanforderungen – vom Klimawandel bis zur digitalen Transformation.

Ob Iot oder industry 4.0, cloud computing oder mobile internet, big data oder data analytics, Algorithmen oder deep learning, bitcoin oder Quantencomputer – die digitale Transformation wird jeden Wirtschaftsbereich erreichen.

Im Bauwesen glaubt mancher mit BIM sei die digitale Transformation bereits geschafft, doch stellt BIM bis dato nur die digitale Information als Basis neuer Kooperationen und Formen der Zusammenarbeit dar.

Autonome Baustellenfahrzeuge, 3D-Druck und Vermessungsdrohnen, Robotik und virtuelle Assistenzsysteme unterstützen den Menschen, aber reichen sie aus, den Fachkräftemangel zu egalisieren?

Künstliche Intelligenz soll die dritte industrielle Revolution verursachen. Doch heute kann KI bisher nur serielle Prozesse ersetzen, Algorithmen können nur Muster erkennen. Unseren zentralen Kreativprozess und unsere menschliche Empathie beherrschen sie nicht. Aber wenn wir sie zum richtigen Zeitpunkt einsetzen, bleibt mehr Raum für unsere menschliche Kreativität. Unsere menschliche Kreativität hat das unique Potential komplexe Probleme zu lösen und genau das brauchen wir in der digitalen Transformation. Sie ist das wesentliche Werkzeug die digitale Transformation zu managen und Zukunft zu gestalten.

Der grösste Einfluss der Digitalisierung ist jedoch nicht der, wie er unsere Wirtschaft verändert, wie neue Jobs entstehen und alte verschwinden, er ist auch nicht die Erfordernis neuer Qualifikationen und Führungsqualitäten, auch nicht der Effizienzgewinn bei Serie oder Individualisierung. Der grösste Einfluss der Digitalisierung ist der auf die Gesellschaft im Sinne einer Demokratisierung von Information und Kommunikation, unserer sozialen Partizipation und der Rolle der Medien. Und last but not least neuer Anforderungen wie Offenheit, Transparenz und Vernetzung. So führt die digitale Transformation zu einer kulturellen Transformation.

Eine Transformation, die einerseits die Microebene des singulären Menschen betrifft als auch die Macroebene der Gesellschaft. Wir müssen uns in der Gestaltung stets des grösseren Kontexts bewusst sein, müssen lernen in Systemen zu denken. Gestaltungsmethoden können hier unterstützen.

So hat beispielsweise die Minimierung des Wohnraums des Individuums in unseren immer dichter werdenden Städten Auswirkungen auf den öffentlichen Raum der Stadt. Einem Raum, der häufig nur als Transitraum konzipiert, der menschliche Masstab ganz abhanden gekommen scheint, der neue und zugleich alte Aufgaben zurück erhält und Aufenthaltsqualitäten für die Gesellschaft der Zukunft fordert.

Ganz im Sinne Georg Simmels „Städte sind soziale Tatsachen, die sich räumlich formen“ ist der öffentliche Raum der Raum der Gesellschaft. Und somit geht es um ein Planen für und mit der Gesellschaft, die nicht nur am öffentlichen Raum, sondern auch an dessen Gestaltungsprozess teilhaben möchte. Design-Thinking und weitere Gestaltungsmethoden und OpenInnovationPlattformen eignen sich hervorragend auch hier für eine gesteuerte Partizipation.

Die digitale Transformation fordert von uns allen Innovationen a la Silicon Valley. Disruptive Geschäftsmodelle wie jene von Google, Facebook, Amazon, Apple, AirBnB oder Uber. Startups sollen traditionellen Unternehmen helfen, die digitale Transformation zu schaffen und liefern einzelne Impulse. Müssen Innovationen immer disruptiv sein? Ist eine kulturelle Transformation nicht eher evolutionär zu betrachten?

Sicherlich sollten wir von der Risikobereitschaft und Fehlerkultur der USA lernen. Wir sollten sie jedoch nicht kopieren. Denn Europa ist nicht USA. Wenn wir für Mensch und Gesellschaft gestalten müssen wir uns kulturell anpassen. Innovationen müssen nicht unbedingt disruptiv sein, sie sind auch evolutionär möglich. Methoden wie die hier zugrunde liegende schaffen diesen Schritt. Nach dem Motto „Zukunft braucht Herkunft“ ermitteln sie im Spannungsfeld zwischen technischen Entwicklungen und gesellschaftlichem Wandel Entwicklungslinien, die unter Einbezug der kulturellen Codierung in die Zukunft fortgeschrieben werden können.

Bauen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur so identitätsstiftend und nachhaltig sein kann. Prognosen fokussieren auf eine Zukunft und müssen daher fast notwendigerweise falsch liegen. Die Komplexität unserer Zeit und unserer Gesellschaft erfordert ein Denken in Szenarien. Szenarien differenzierter möglicher Zukünfte. Mit den richtigen Methoden können daraus nachhaltige, resiliente und identitätsstiftende Gebäude und Städte entstehen als Lebensraum für Individuen und die Gesellschaft.

Veröffentlicht in der Dokumentation „Rendering Codes/Putz der Zukunft“

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